Martha Arvon, geb. Weinberg

1914 in Trier geboren

Abitur am AVG

Studium in Straßburg

Überlebte den Holocaust in Frankreich

Verheiratet mit dem Professor für Philosophie Henri Arvon

Starb 1978

Martha Weinberg wurde am 22. März 1914 in Trier als Tochter des Kaufmanns Markus Weinberg (1976-1941) und seiner Ehefrau Cäcilia, geb. Rothschild (1888-1942), geboren.[1] Familie Weinberg wohnte zuletzt in der Speestraße 7, davor in der Gilbertstraße 27.[2] Von 1919 bis 1923 besuchte sie die jüdische Volksschule Trier. Martha und ihre Schwester Kerry erhielten neben ihrer gymnasialen Ausbildung jüdischen Religionsunterricht von einem Privatlehrer.[3] Schülerin des AVG in Trier war sie von 1923 bis zum Abitur im Jahre 1933.[4] Als jüdische Schülerin im Biologieunterricht war sie aufgefordert worden, sich auf einen Tisch zu stellen,[5] damit der Lehrer an ihr die „arischen“ Merkmale erklären könne.

Sie hatte vor, Medizin zu studieren, gab dieses Studienziel aber wegen der nationalsozialistischen Verhältnisse in Deutschland auf den Rat eines Trier Arztes hin auf.[6] Da ihr Vater bereits 1933 von den Nationalisten bedroht wurde, habe sie sich entschlossen, am 26. Juni 1933 nach Straßburg zu fliehen.[7] Sie hatte sich bald nach dem Abitur an der Universität Straßburg eingeschrieben.[8]

Da sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen musste, arbeitete sie bis zu ihrer Hochzeit am 26. Oktober 1938 in einem Heim für jüdische Kinder in Rigny, in der Nähe von Straßburg.[9] Deshalb konnte sie ihre universitäre Ausbildung nicht fortsetzen. In Straßburg traf sie ihren späteren Ehemann, den Studenten Karl-Heinz Aptekmann, der aus Bayreuth stammte. Da Martha Weinberg mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als deutscher Spion verdächtigt wurde, „deportierte“ sie der französische Staat in ein Lager. Nachdem sie ihren Freund, der bereits 1937 die französische Staatsangehörigkeit erworben hatte, geheiratet hatte, wurde sie aus dem Lager entlassen und erhielt die französische Staatsange-hörigkeit.

Als die Universität Straßburg nach Clermont Ferrand verlegt wurde, bezog das Paar Aptekmann eine Wohnung in Cournon d´Auvergne. Martha Aptekmann arbeitete als Näherin und ihr Ehemann unterrichtete an der Militärschule in Billom und nahm an einigen Konferenzen für Philosophie teil.[10]

Die NS-Zeit überlebte das Paar in einem französischen Dorf in der nichtbesetzten Zone; ihr Ehemann hatte sich als Schuhmacher getarnt.[11] Ihre Familiennamen hatten Karl-Heinz Aptekmann in Arvon und Martha Weinberg in Veze geändert, um sich vor der nationalsozialistischen Verfolgung zu schützen.[12]

Martha Arvon arbeitete nach 1945 nicht mehr in einem Beruf, weil es ihr gesundheitlich schlecht ging. Sie litt besonders darunter, dass sie nie erfuhr, wie ihre Mutter im Holocaust gestorben war.[13]

1945 wurde ihre gemeinsame Tochter Cécile geboren.

In den fünfziger Jahren wohnte Familie Arvon in La Fléche, Sarthe, in Frankreich. Zu Studienaufenthalten von Henri Arvon an der Universität Freiburg i.Br. hielt sich die gesamte Familie in Kappel bei Freiburg in Wien und in Zürich auf.[14]

Martha Arvon und ihre Schwester Kerry Weinberg stellten verschiedene Anträge auf Widergutmachung ihres von den Natio-nalsozialisten zerstörten Vermögens, auf Entschädigung ihrer abgebrochenen Ausbildung im Nazi-Regime und auf Haftentschädigung ihrer Mutter, die offenbar nur schleppend bearbeitet wurden, so dass sich Henri Arvon, der Ehemann von Martha, während seines Aufenthalts in Kappel bei Freiburg dazu genötigt sah, an das Amt für Wiedergutmachung in Trier folgende Zeilen zu schreiben:

„Meine Frau arbeitet nicht, so dass lediglich mein Einkommen in Frage käme. [Das Trierer Amt für Wiedergutmachung hatte einen Einkommensnachweis der Familie Arvon verlangt]. Dieses Einkommen ist dadurch verkleinert, dass die ehemalige deutsche Regierung uns nicht nur in Trier ausgeplündert hat, sondern auch in Straßburg und wir noch nicht ganz unsere Möbel und Wäsche haben ersetzen können. … Gestern sprach ich auf dem Wiedergutmachungsamt in Freiburg vor. Dort war man erstaunt, dass Trier 8 Jahre nach Kriegs-ende noch nicht die geringste Wiedergutmachung getroffen hat. In Baden sind schon alle „Judenabgaben“ ausgezahlt worden und alle Gruppen sind aufgerufen worden. …Es ist mir unverständlich, dass in einem Fall, der so klar ist wie der meiner Schwiegereltern noch nicht die geringste Entscheidung getroffen ist.“[15]

1959 plante sie eine Fahrt nach Trier.[16]

Martha Arvon hatte zwei Schulfreundinnen, die sie 1974 in New York traf.[17]

Am 19. Mai 1978 starb Martha Arvon-Weinberg in Paris.[18]


[1] Datenbank Martin Junk. Ihr Vater Markus Weinberg starb am 2. Februar 1941 in Trier. Ihre Mutter wurde ins KZ Litzmannstadt deportiert.

[2] Liste von Haushaltungsgegenständen, Nachweisung für das Finanzamt Trier vom 14.11.1941. Von Dr. Cecile Arvon zur Verfügung gestellt. Vgl. auch Amt für Wiedergutmachung Saarburg, Akte 75036, S. 39.

[3] Steidle, Hans: Jakob Stoll und die israelitische Lehrerfortbildungsanstalt. Eine Spurensuche, Würzburg 2002, S. 63.

[4] Amt für Wiedergutmachung Saarburg, Akte 74998, S. 8.

[5] Weinberg, Kerry: Scenes from Hitler´s „1000-year-Reich. Twelve Years of Nazi Terror and the Aftermath, New York 2003, S. 26.

[6] Amt für Wiedergutmachung Saarburg, Akte 74998, S. 17. Dr. Balkhausen aus Trier, der sie 1933 medizinisch behandelte, riet ihr von diesem Studium wegen der „nazistischen Verhältnisse“ ab. (Bescheinigung von Dr. Balkhausen vom 3.11.1959)

[7] Amt für Wiedergutmachung Saarburg, Akte 74998, S.24.

[8] Ebd., S. 25. Nazi Terror and the Aftermath, New York 2003, S. 25.

[9] Amt für Wiedergutmachung Saarburg, Akte 74998, S. 9 und S. 14. (Eidesstattliche Erklärung vom 14.4.1958)

[10] Brief von Dr. Cecile Arvon vom 18.9.2018. Henri Arvon unterrichtete von 1945 bis 1964 an der Militärschule „Le Prytanée militaire“ in La Fléche. Anschließend wurde er Professor an der Universität Clermont Ferrand und in Nanterre bei Paris. Er gilt als Spezialist für den Junghegelianer Max Stirner, Zeitgenosse von Karl Marx. Einer seiner Studenten war Cohn Bendit. Vgl. auch: http://www.lsr-projekt.de/Henri-Arvon.html; seine Forschungen sind von Armin Geus in deutscher Sprache herausgegeben worden. Vgl. Geus, Armin (Hrsg.): Henri Arvon: Max Stirner- An den Quellen des Existentialismus. Aus dem Fränzösischen von Gerhard H. Müller und mit einem Nachwort von Bernd Kast, Neuburg an der Donau 2012.

[11] Feral, Thierry: Hommage dún ancien etudiant au germaniste et philisophe Henri Arvo (1914-1992), in Henri ARVON: une pensée á  redécouvrir-Adobe Acrobat Reader DC

[12] Brief von Dr. Cecile Arvon vom 18.9.2018.

[13] Marta Arvon erfuhr erst um 1950 , dass ihre Mutter am 1.3.1942 in Lodz umgekommen war. Diese hatte 1940 ein Visum von Cuba beantragt, war aber vor dessen Ausstellung am 16.10.1941 von der Speestraße in Trier aus nach Litzmannstadt deportiert worden. Vgl. Amt für Wiedergut-machung Akte 75036.

[14] Amt für Wiedergutmachung Saarburg, Akte 74998, S. 43.

[15] Brief vom 19. April 1953, vgl. Amt für Wiedergutmachung Saarburg Akte 74998, S. 43. Bemerkenswert ist, dass ein Mitarbeiter des angesprochenen Amtes den Satz: „Meine Frau arbeitet nicht“ fett unterstreicht.

[16] Ebd., S. 38.

[17] Ebd.

[18] Ebd. Vgl. auch Amt für Wiedergutmachung Saarburg, Akte 74998, S. 38.