Aurelia („Orli") Torgau-Wald

geboren am 1.7.1914 in Bourell

gestorben am 1.1.1962 in Ilten

Verkäuferin

baut eine Widerstandgruppe auf, Kurierin für saarländische und luxemburgische Kommunisten

Frauenzuchthaus Ziegenhain, KZ Ravensbrück, KZ Auschwitz-Birkenau

„Es gab nur wenige Frauen, die so oft gestorben waren und doch noch lebten..." Die, über die das gesagt wurde, kommt am 1.Juli 1914 als Tochter des Maschinisten August Torgau und seiner französischen Frau Maria zur Welt. Die Familie, in die Aurelia, genannt Orli, hineinwächst, ist stark in der kommunistischen Bewegung engagiert: Ihr Vater ist 1919 Mitbegründer der Trierer Ortsgruppe der Kommunistischen Partei Deutschlands, ihre älteren Brüder Fritz und Willi sind im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) aktiv. Dort wird Orli Mitglied der Theaterspielgruppe und Pionierleiterin. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler beteiligt sie sich am Aufbau einer Widerstandsgruppe und nutzt ihre Kontakte nach Luxemburg, um von dort politische Aufklärungsschriften ins Reich zu schmuggeln. 1934 wird sie das erste Mal von der Gestapo verhaftet; ein Verfahren gegen sie muss aber mangels Beweises eingestellt werden.

Trotz der Gefahr setzt Orli ihre Kurier- und Untergrundtätigkeit fort. Als sie sich im März 1936 im luxemburgischen Esch aufhält, rollt in Trier eine Verhaftungswelle gegen die Mitglieder des KJVD. Mittelsmänner der Gestapo drohen ihr mit der Verhaftung ihrer Eltern, falls sie nicht nach Trier zurückkehrt. Ohne zu zögern, fährt sie nach Trier und stellt sich der Gestapo. Bei ihren Verhören muss sie stundenlang stehen; sie bekommt Faustschläge und Ohrfeigen. Nachts wird sie immer wieder im Schlaf gestört. Am 23. Juni 1936 wird Orli ins Gefängnis in der Windstraße eingeliefert. Am 21. Dezember 1936 wird sie wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu viereinhalb Jähren Haft verurteilt und ins Frauenzuchthaus Ziegenhain bei Kassel überstellt. Drei Jahre verbringt sie in Einzelhaft. Die Gnadengesuche ihrer Mutter werden von der Strafanstalt befürwortet, nicht aber von der Trierer Gestapo, die immer wieder auf die Bedeutung der Familie Torgau in der örtlichen kommunistischen Bewegung verweist. So muss Orli die volle Haftzeit verbüßen. Als sie drei Tage vor Weihnachten 1940 freikommen soll, liefert sie die Gestapo ins Frauen-KZ Ravensbück ein. Sie erhält die Häftlingsnummer 5319/3901 und einen roten Winkel auf der Häftlingsjacke - als Kennzeichen der politischen Gefangenen.

1941 soll sie als Kronzeugin gegen den luxemburgischen KP-Führer Zenon Bernard aussagen. Obwohl ihr die Gestapo bei einer „guten" Aussage Straffreiheit verspricht, versucht sie, Bernard zu entlasten.

So wird sie im März 1942 nach Auschwitz-verlegt, wo sie „Lagerälteste" im Krankenrevier des Frauenlagers Auschwitz-Birkenau wird. Mit den anderen Pflegerinnen wird Orli Zeugin, wie der Lagerarzt im Revier schwache Patientinnen für den Tod aussucht. Orli gelingt es einige Male, todgeweihte Frauen zu retten. Im Winter 1942/43 erkrankt sie an Fleckfieber. Sie überlebt mit knapper Not, verfällt aber in eine schwere Depression und versucht, sich mit einer Überdosis Beruhigungstabletten umzubringen. Ihre Kameradinnen retten sie. Ende 1943 erkrankt sie an Tuberkulose. Fiebrig und von der Krankheit gezeichnet, wird sie mit den anderen „transportfähigen" Frauen im Januar 1945 von Auschwitz in ein Nebenlager des KZ Ravensbrück verlegt.

In den letzten Apriltagen 1945 flieht sie von dort mit einer Gruppe von Mädchen. Sie verstecken sich in den Wäldern, bis sie von einem Trupp der Roten Armee aufgestöbert werden. Auch die halb verhungerte, von hohem Fieber geschwächte Orli wird von den russischen Soldaten vergewaltigt. Schließlich entkommt sie und fährt nach Berlin. Trotz ihrer Kritik am Hitler Stalin-Pakt ist die Kommunistische Partei noch immer ihre politische Heimat. So wird sie Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei (SED) und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Um ihrem Leben durch Engagement wieder einen neuen Sinn zu geben, fehlen der erst 31 jährigen, schwer kranken Frau jedoch die Kräfte. 1946 bricht ihre Tuberkulose wieder auf. Im Sanatorium lernt sie Eduard Wald kennen, den sie im November 1947 heiratet. Die anhaltenden körperlichen Beschwerden und die daraus erzwungene Inaktivität werfen Orli im Lauf der Zeit immer stärker auf sich und die schreckliche Vergangenheit zurück. Das Gefühl der Isolation verstärkt sich, nachdem sie und ihr Mann 1948 mit der SED brechen. Immer wieder erzählt sie von dem, was sie in Auschwitz erlebt hat, so, als ob sie sich das Grauen von der Seele reden muss. „Und nachts standen die Toten von Auschwitz wieder auf", sagt Eduard Wald über sie.

Aus der kämpferischen Frau, die sich und andere lebend durch die Hölle von Auschwitz gebracht hat, ist ein zur Passivität verurteilter Pflegefall geworden. Sie kann die Erlebnisse im KZ nicht vergessen und beginnt, sie niederzuschreiben. Oft verfällt sie in tiefste Depressionen. Regelmäßig wiederkehrende Angstzustände versucht sie durch Medikamente zu betäuben und wird schließlich süchtig. Zweimal versucht sie sich umzubringen. Sie wird in die psychiatrische Klinik Tiefenbrunn gebracht. Der aufnehmende Arzt protokolliert: „Nach der Entlassung aus dem KZ Auschwitz Depressionszustände.

Findet sich in der Welt nicht mehr zurecht. Keinen Glauben an die Menschheit mehr. Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens." Als im April 1961 in Israel der Prozess gegen Adolf Eichmann, einen der Haupttäter beim millionenfachen Judenmord in Europa, beginnt, wird in Orli, deren Zustand sich in der Zwischenzeit etwas gebessert hatte, alles wieder aufgewühlt. Am 10. Juli wird sie erneut in eine Nervenklinik gebracht. Es setzen Bewusstseinsstörungen ein. Sie glaubt, sie sei inhaftiert, es sei noch Krieg, sie wähnt sich in Auschwitz, klagt sich an, den Leuten nicht genügend geholfen zu haben. Das medizinische Bulletin schließt damit, dass am l. Januar 1962 eine schwere Unruhe bei der Patientin Aurelia Wald mit einer hohen Medikamentendosis gedämpft werden musste. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit könne angenommen werden, dass es durch die jahrelange vegetative Übererregung und durch die deswegen notwendigen fortgesetzten Medikamentengaben zu einem Kollaps gekommen sei. Das ist das Ende.

Quelle:  Stattführer Trier im Nationalsozialismus, 3. Auflage Trier 2005
Trierer biographisches Lexikon